Der seitlich driftende Lichtstrahl

Der seitlich driftende Lichtstrahl: Licht wird an einem bewegten 45°-Spiegel reflektiert. Der reflektierte Strahl wird um 90° abgelenkt, hat aber eine seitliche Driftgeschwindigkeit. Die einzelnen Wellenfronten sind gegenüber der Strahlrichtung gekippt. Der Wellenvektor steht aber nach wie vor senkrecht auf den einzelnen Wellenfronten, d.h. die Wellen haben eine Geschwindigkeitskomponente v in x-Richtung und eine Geschwindigkeitskomponente c/gamma in y-Richtung, wobei v die Geschwindigkeit des Spiegels ist, c die Vakuumlichtgeschwindigkeit, und gamma=1/√(1-v^2/c^2).
Man beachte: Dies ist keine neue Art von Licht, sondern einfach das Ergebnis des Dopplereffekts!

Im Prinzip  steckt in diesem seitlich driftenden Lichtstrahl die gesamte Spezielle Relativitätstheorie, insbesondere die relativistische Zeitdilatation, die Lorentz-Kontraktion und die Gleichzeitigkeit.
Nach der Reflexion ändern sich Wellenlänge, Frequenz und, wenn man genau hinschaut, auch die Intensität des Lichtstrahls. Daraus folgen dann sofort weitere relativistische Transformationsgleichungen.

Dieser Lichtstrahl ist das einfachste Modellsystem, das die Spezielle Relativitätstheorie anschaulich beschreibt. Entsprechend dem Relativitätsprinzip beobachtet eine Beobachterin, Alice, diese charakteristischen Eigenschaften des seitlich driftenden Lichtstrahls, wie die relativistische Längenkontraktion und die Kippung der Wellenfronten, aber nicht nur bei elektromagnetischen Wellen, sondern bei allen Arten von Wellen (die sich mit Lichtgeschwindigkeit c ausbreiten). Insbesondere also auch bei den Materiewellen der atomaren Elemente, aus denen ein Beobachter, Bob, aufgebaut ist, der mit dem Lichtstrahl und dem 45°-Spiegel mitreist. Aus Alices Sicht sind die Materiewellen der atomaren Elemente, aus denen Bob besteht – und damit der ganze Bob – also genauso verbogen, wie der seitlich driftende Lichtstrahl. Und genau aus diesem Grund sieht Bob keinen Lorentz-kontrahierten Lichtstrahl mit schiefen Wellenfronten, sondern einen ganz normalen, „ruhenden“ Lichtstrahl, wie er unten dargestellt ist, und genauso, wie Alice einen in ihrem System ruhenden Lichtstrahl sehen würde. Bob sieht keinen schiefen Lichtstrahl, weil er selber „schief“ ist. Und „zweimal schief“ macht „gerade“.

Wenn man jetzt die Rollen vertauscht, und das ganze aus Sicht von Bob sieht, dass sich also Alice aus Sicht von Bob bewegt, dann sieht es genauso aus. Denn da Bob „schief“ guckt, werden für ihn die geraden Wellenfronten „schief“ usw.

Es ist also gerade nicht so wie im Alltag, nämlich: Wenn die Uhr des anderen aus eigener Sicht langsamer geht, dann geht die eigene Uhr aus Sicht des anderen schneller. Und wenn der andere aus eigener Sicht kleiner ist, dann ist man selbst aus Sicht des anderen größer. Nein, für relativistische Vorgänge gilt, dass aus beider Sicht die Uhr des anderen immer langsamer geht, und dass der andere immer kürzer ist. Der Grund dafür ist der schiefe Lichtstrahl: Für Alice ist Bob „schief“, und weil Bob „schief“ ist, ist auch für ihn Alice „schief“.

Wer sich jetzt aber wirklich bewegt und damit „schief“ ist, das lässt sich nicht sagen, denn es gibt kein absolutes Bezugssystem. In der Regel bewegen sich beide.

Auffällig ist noch, dass sich der Abstand der Wellen senkrecht zur Bewegungsrichtung des Spiegels nicht ändert. Senkrecht zur Bewegungsrichtung gibt es keine Längenkontraktion.
In den hier dargestellten Bildern mit dem bewegten Spiegel hat der einfallende, waagrechte Lichtstrahl eine kleinere Wellenlänge. Das liegt daran, dass sich in diesem Fall die nicht sichtbare Quelle mit der gleichen Geschwindigkeit wie der Spiegel bewegt. Aufgrund des Dopplereffekts ist dann die Wellenlänge kleiner.

Im dargestellten Beispiel ist v/c=0.6 und gamma=1.25.
Der Kippwinkel der Wellenfronten beträgt ca. 37°.

Lichtablenkung am ruhenden Spiegel
Lichtablenkung am bewegten Spiegel

👉siehe auch: Seitlich driftender Resonator
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